Haben Nabokov und Thomas Mann geklaut?Natürlich haben sie. Mit Vorliebe bei der Trivialliteratur. Schließlich waren sie beide große KünstlerVor einigen Wochen wartete die "FAZ" mit einer interessanten,
wenngleich kam sensationell zu nennenden Nachricht auf. Vladimir Nabokov,
so der Zufallsfund von Michael Maar, dem Detektiv unter den deutschen
Literaturkritikern, könnte Plot und Personnage von "Lolita" abgeschrieben
haben. Ein gewisser Heinz von Lichberg hat nämlich 1916 schon einen
belletristischen Text gleichen Titels vorgelegt. Geschichten der
Verführung durch ein halbwüchsiges Mädchen - alles schon mal dagewesen,
bis in die Namensgleichheit hinein. Für Nabokovianer offenbar ein herber
Schlag. Jedenfalls wurde von einigen unter ihnen ein gerüttelt Maß an
Beredsamkeit aufgebracht, um den rufschädigenden Hinweis auf ein
mögliches, ja, wie Maar nahe legt, sogar plausibles Plagiat mit herrischer
Geste vom Tisch zu fegen. Jedoch auch an Vorschlägen zur Güte fehlte es
nicht. So relativierte der ehemalige Literaturchef der "Frankfurter
Rundschau", Wolfram Schütte, die vermutete Nabokov-Blamage durch Hinweis
auf e! in vergleichbares Vergehen, das man Thomas Mann nachweisen könne:
Nahezu das gesamte Setting seines "Zauberbergs" finde sich bereits in der
Novelle "Unter Kranken und Gesunden in Davos. Die Geschichte eines
Kur-Urlaubs" aus dem Jahre 1907. Verfasst habe das Opusculum ein ähnlich
Namenloser wie im Fall der Proto-Lolita. Er hörte auf den Namen Johannes
Uhtenwoldt. Nun wohl, was sagt uns das? Muss jetzt die Literaturgeschichte
umgeschrieben werden? Sollten wir schnellstens zwei Große der Belletristik
vom Sockel stoßen? Im Gegenteil. Diese beiden schönen Proben
philologischen Spürsinns könnten uns lehren zu beherzigen, was zumindest
Thomas Mann immer für sich in Anspruch genommen hat, nämlich als
Schriftsteller kein Erfinder zu sein, sondern jemand, der sich aus
vorliegendem Material "etwas macht". Dass zu diesem Material von Anbeginn
auch die Trivialliteratur gehörte, ist an sich auch nichts Neues. Zu den
verdienstvollsten Arbeiten der jüngeren Thomas-Mann-Forschung gehört
schließlich, wiederum von Michael Maar erbracht (in seinem schönen Buch
"Geister und Kunst"), der Nachweis, dass das gesamte Werk des
"Buddenbrooks"-Autors geradezu vibriere vom Nachhall seiner Lektüre
Andersenscher Märchen - für den, der heimlich lauschet. Nun mag es vieles geben, was Nabokov von Thomas Mann, den der Russe
bekanntlich wortreich verachtet hat, unterschied. Aber aus heutiger
Perspektive fällt doch vor allem eine große Gemeinsamkeit auf: Sie waren
beides Artisten. Bei aller Sorge um "Tiefgang", die vor allem, wie kann es
anders sein, den deutschen Dichter umtrieb, besaßen sie doch jenen
untrüglichen Sinn fürs Handwerkliche, Ausgepichte, welcher das gut
Gemachte überall wertzuschätzen vermag, vollkommen unbesorgt darum, ob man
dabei möglicherweise auch in die Gefilde der Trivialliteratur vordringt.
Sie waren eben beide nicht und wollten dies auch mitnichten sein:
Originalgenies, wie jene fixe Idee gern auf den Begriff gebracht wird,
die, im Sturm und Drang geboren, bis in die Stammel-Prosa der Moderne
hinein so lange für den deutschen Sekundärsektor von Wissenschaft und
Kritik das Non plus Ultra literarischen Niveaus darstellte. Sie haben beide, Gott sei Dank, wie man nur sagen kann, an diesem
Professoren-Erwartungshorizont vorbeigeschrieben. Thomas Mann sogar mit
subtiler Freude an der Tabu-Verletzung, wenn er einmal dem Kollegen
Hermann Hesse gegenüber bekannte: "Die populären Elemente sind ebenso
ehrlicher und instinktiver Herkunft wie die artistischen. Die Künstler,
denen es nur um eine Coenakel-Wirkung zu tun ist, war ich stets geneigt,
gering zu schätzen. Eine solche Wirkung würde mich nicht befriedigen. Mich
verlangt auch nach den Dummen." Wen es, wie man damals noch in unangefochtener politischen
Unkorrektheit sagen konnte, nach den Dummen verlangt, der liest auch ihre
Literatur. Wir werden, wenn wir nur darauf achten und unser Augenmerk
richten, aller Wahrscheinlichkeit nach noch viele andere Schlieren aus der
trivialen Sphäre gerade bei unseren Granden entdecken. Ob Goethe, Kleist
oder eben Thomas Mann, immer wieder verletzten sie mit Wonne die Gesetze
des guten Geschmacks. "Ich habe Würde genug, um viel verschwenden zu
können", schrieb schon der ganz junge Thomas Mann an Otto Grauthoff - und
zog sich B-Pictures rein sowie mondäne Klatschgeschichten aus Davos.
Seiner Klassikerwürde tut das keinen Abbruch. Artikel erschienen am 4. Mai 2004 |
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Some weeks ago the "FAZ" waited with an interesting, although arose message
sensationally which can be called. Vladimir Nabokov, so the coincidence find of
Michael Maar, the detective among the German literary critics, would know Plot
and person-gnaws of "Lolita" to have copied. A certain Heinz von Lichberg
submitted already 1916 to barking trichloroethylene tables text of same title.
Stories of the seduction by a halbwuechsiges girl - everything already times
Trade Union of German Employees natures, into the identity of names inside. For
Nabokovianer obviously a herber impact. Anyhow of some among them shaken a
measure of Beredsamkeit was applied, in order the call-damaging reference to a
possible, like Maar close puts to sweep, even plausible plagiarism with
herrischer gesture from the table to. However also at suggestions on the quality
it was not missing. Thus the former literature boss of the "Frankfurt round
rundschau" related, tungsten container, the assumed Naboko! v Blamage by
reference to a comparable passing, which one could prove Thomas's man: Almost
the entire Setting of its "charm mountain" is already in the novella "under
patients and recovering in Davos. The history of one cure vacation "from the
year 1907. Wrote the Opusculum just as nameless one as in the case of the Proto
Lolita. He heard on the name Johannes Uhtenwoldt.
Now probably, which says us that? Does literature history have to be
rewritten now? Should we push as soon as possible two large ones the
Belletristik of the base? In the opposite. These two beautiful samples of
philological serendipity could us teach to take good heed of, what always took
at least Thomas's man up for itself to be i.e. as writers no inventor but
someone, which makes itself from available material "something". That to this
material of beginning also the trivial literature belonged, is actually also
nothing new. To the earnings-fullest work belongs to the recent Thomas man
research finally, again furnished by Michael Maar (in its beautiful book of
"spirit and art"), which proof that the entire work of the "Buddenbrooks" author
almost vibrates from the response of his reading of Andersen fairy tales - for
that, which secretly listen.
Now there may be much, what Nabokov from Thomas's man, whom the Russian as
well known word-rich despised, differentiated. But from today's perspective
nevertheless above all a large community is noticeable: They were both kindists.
With all concern around "depth", those above all, as can therefore be it
different, the German poet activities, possessed it nevertheless that unfailing
sense for the relating to crafts, Ausgepichte, which is able to esteem well the
making everywhere, perfectly without concern whether one penetrates thereby
possibly also into the Gefilde of the trivial literature.
They were not evenly both and wanted this also not at all to be: Original
genius, like that fixed idea gladly brought on the term, those, in the storm and
urge, is born until into the Stammel Prosa for the modern trend in such a way
inside be enough for the German secondary sector of science and criticism the
Non plus Ultra literary levels represented.
They have both, God are thanks, as one only to say can, at this professor expectation horizon by-written. Thomas's man even with subtle joy in the taboo injury, if it the colleague Hermann Hessian opposite well-known: "the popular elements are just as honest and instinktiver origin as the artistic. I was always bent the artists, to who it is to be done only around an Coenakel effect, to estimate small. Such an effect would not satisfy me. Me requires also for the stupid ones."
Whom it, as one still in unquestioned political incorrectness say at that
time could, for the stupid ones requires, also their literature reads. We will
discover, if we only arrange paid attention to it and our attention, in all
probability still many other streaks from the trivial sphere straight with our
Granden. Whether Goethe, Kleist or evenly Thomas's man, hurt her again and again
with Wonne the laws of the good taste. "I have will enough, over much to waste
to be able", wrote already completely young the Thomas's man petrols have a
horror-hope - and pulled myself b-Pictures purely as well as mondaene gossip
stories from Davos. Its does that no abort.
Articles appeared on 4 May 2004